Gottesdienst vom Sonntag, 29. August 2021
Herzlichen Dank an Diakon Daniel Aebersold für seinen wertvollen Einsatz während dem Studienurlaub von Pfarrer Florian Homberger.
MERCI Daniel
Predigt 29.08.2021 Müllheim, Daniel Aebersold
Einführung Schriftlesung
Gott hat uns Menschen einen festen Rahmen für unser Zusammenleben und für die Beziehung zwischen ihm und uns und unseren Nächsten gegeben.
Bekannte Texte dazu hören wir aus den Mosebüchern in der Schriftlesung:
Schriftlesungen aus 2. Mose 20 / 5. Mose 6, 4 / 3. Mose 19, 18
Und Gott redete alle diese Worte:
Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland,
aus der Knechtschaft, geführt habe.
Du sollst keine anderen Götter haben neben mir
Du sollst dir kein Bildnis ... machen
Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen...
Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst
Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren
Du sollst nicht töten
Du sollst nicht ehebrechen
Du sollst nicht stehlen
Du sollst nicht falsch Zeugnis reden gegen deinen Nächsten
Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus,
Frau … noch alles, was dein Nächster hat. (2. Mose 20)
Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR ist einer.
Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und mit all deiner Kraft - und deinen Nächsten wie Dich selbst. Amen.
Predigt 1. Teil «Den Rahmen sprengen für ein neues Bild»
Liebe Gemeinde,
Wir bewegen uns in einem Lebensrahmen. Ich bewege mich persönlich in einem Rahmen. Dieser wird mit zum Teil übergestülpt. Diesen habe ich oft auch selbst gestaltet oder gewählt.
Einen Rahmen gibt uns beispielsweise unsere Erziehung vor. In der Pubertät ist es normal, dass man aus dem Rahmen ausbrechen will. Später mittet sich das oft wieder ein. Auch unsere Gesellschaftsordnung mit ihren Gesetzen gibt uns einen Rahmen vor.
«Das ist richtig, das ist falsch». «Das gehört sich, das gehört sich nicht».
Dass ich einmal «ja» gesagt habe, die Stellvertretung in dieser Gemeinde zu übernehmen, hat mich in den «Rahmen» dieser Gemeinde geführt. Ich durfte mich in den vergangenen 6 Monate darin bewegen. Dieser Rahmen wird in 3 Tagen nicht mehr da sein. Anderes, Neues wird kommen, und doch hinterlässt auch diese Zeit resp. Ihr als Menschen Spuren in mir. Und das ist gut so.
Dass ich einmal «ja» gesagt beim Heiraten, hat mich in einen Ehe-Rahmen geführt. Selbst gewählt. Und ein grossartiger Rahmen.
Dass ich einmal bewusst «Ja» gesagt habe zu einem Leben mit und aus Jesus Christus, ist auch selbstgewählt. Weil ich für mich entdeckt habe, wie wertvoll, ja lebenswichtig diese Verbindung ist für meinen Lebensweg und die Zukunft. Ohne dieses «Ja» hätte ich vermutlich wesentliche Entscheidungen anders gefällt.
Dieser Glaubens-Rahmen stellt mich immer wieder vor die Frage, ob Lebens- und Glaubensmuster für mich gesund oder eher schädlich sind. Damit stelle ich mich natürlich auch
selbst in Frage. So etwas war noch nie angenehm. Und die Frage ist berechtigt: Tut es uns überhaupt gut, sich damit auseinander zu setzen? Oder ist es störend, ja unnötig?
Wir alle leben in mehr oder weniger festen Strukturen. Änderungen daran wecken bei den meisten Menschen Widerstand. Untersuchungen zeigen, dass ca. 75% der Menschen Neuerungen vorerst ablehnend oder mit grossen Widerständen begegnen. Ca. 10 – 15 % finden es irgendwie faszinierend, andrerseits sind sie auch sehr zurückhaltend. Und nur 10% lassen sich sofort begeistern, sind Feuer und Flamme. Es ist ein psychologisches Paradox: Einerseits wünschen sich viele Menschen manchmal, einen gegebenen Rahmen zu verändern, auszudehnen oder zu verlassen, andrerseits will man es nicht. Denn:
Rahmen haben etwas Überschaubares und je länger ich darin und damit lebe, desto klarer wird es: Das sind die Möglichkeiten, darin kann ich mich bewegen, das aber auch sind die Grenzen. Oft fühle ich mich in diesem Rahmen wohl, weil er mir ein Stück Geborgenheit gibt. Hin und wieder stosse ich daran und hätte gern mehr Ausdehnung.
Ja, manchmal – und je nach Persönlichkeit stärker oder weniger stark – wirkt dieser Rahmen einengend, blockierend. Er verhindert es z.T. über den Rahmenrand hinauszuschauen, Neues zu wagen und zu entdecken, um mehr Weite zu bekommen.
Dabei gibt es zwei Grundrichtungen der Persönlichkeit: Diejenigen, welchen es sehr wohl ist mit klarem Rahmen und andere, die sich unfrei, eingesperrt fühlen mit Rahmenbedingungen. Es gibt da natürlich auch Mischformen. Je nach Lebensgebiet brauche ich oder schätze ich den Rahmen, in anderen Bereichen will ich möglichst wenig Begrenzungen. Trotzdem: Die meisten Menschen – auch unter uns – haben über ihre ganze Persönlichkeit gesehen ein klares Profil.
Und so kommt meine Frage:
Zu welchen Persönlichkeiten gehören Sie eher?
Bewegen Sie sich gerne in einem vorgegebenen, klaren oder selbstgewählten Rahmen, wo Sie sich auskennen und der Ihnen Sicherheit gibt?
oder
Schränkt Sie das eher ein, Sie möchten den Rahmen weiten, manchmal durchbrechen, weil er zu eng ist?
Auch im Evangelium, ja in der ganzen Heiligen Schrift, gibt es Rahmen, z.B. die 10 Gebote, das Gebot der Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe etc., wie wir sie in der Schriftlesung gehört haben. Viele Menschen in unserer Gesellschaft bewerten mindestens einen Teil dieses Rahmens als einengend, begrenzend, die Freiheit beschneidend. Beispielsweise das 4. Gebot: «Gedenke des Sabbattages /Ruhetages». Und sie setzten sich darüber hinweg. Ich selber bin dankbar dafür, hilft mir dieser Rahmen doch, in der Spur zu bleiben.
Ich habe mich gefragt: Bewegte sich Jesus auch in solchen Rahmen? Wenn ja, wie ist er damit umgegangen? Und da bin ich aufgrund des Textes aus Markus 2, 13 – 17 auf einige Antworten gestossen. Hören wir auf den Predigttext:
Predigttextlesung Markus 2, 13 - 17
Danach kehrte Jesus zurück ans Ufer des Sees und lehrte die Menschen, die sich um ihn versammelten.
Als er weiterging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zollhaus sitzen. »Komm, folge mir nach«, sagte Jesus zu ihm. Da stand Levi auf und folgte ihm nach.
Danach lud Levi Jesus und seine Jünger zum Essen ein. Er bat auch viele Steuereintreiber und andere Menschen, die als Sünder galten, dazu. Viele von ihnen gehörten zu der Menge, die Jesus folgte.
Als nun aber einige der Schriftgelehrten, die zu den Pharisäern gehörten, sahen, dass Jesus mit diesen Leuten aß, sagten sie zu seinen Jüngern: »Warum isst er mit diesem Abschaum?«
Als Jesus das hörte, sagte er zu ihnen: »Die Gesunden brauchen keinen Arzt - wohl aber die Kranken. Ich bin gekommen, um Sünder zu rufen, nicht Menschen, die sich schon für gut genug halten.« Amen
Glücklich ist, wer Gottes Wort hört, es in seinem Herzen bewahrt und tut.
Predigt 2. Teil
Jesus begibt sich freiwillig in gewisse Rahmenbedingungen. Er kommt vom Himmel auf die Erde. Anders gesagt: Vom «heiligen Raum» (Himmel) in den «unheiligen Raum» (Erde, die durch die Sünde verseucht und dadurch verloren ist). Er war eine Zeitlang Teil dieser gefallenen Welt, doch ohne Sünde. Aber: Als Jesus auf dieser Erde unterwegs war, liess er sich nicht einfach in gesellschaftliche und religiöse Rahmenbedingungen einsperren.
Was ist sein «Rahmen»? Sein Rahmen ist der «Wille des Vaters». Sein Rahmen ist «das Reich Gottes». Sein Rahmen ist der «Gehorsam seinem Vater gegenüber».
Dieser grosse Rahmen ermöglicht eine gewaltige Weite und Freiheit, bei der es uns oft nicht mehr wohl ist. Es ist unkonkret, zu wenig fassbar, zu unsicher. Und es führt uns in eine Weite, in der wir uns nicht mehr einfach auf uns selber, unsere Erfahrungen, unser Bauchgefühl, unser Wissen verlassen können. Sondern: Wir sind angewiesen auf den Heiligen Geist. Und wir finden Geborgenheit und innere Sicherheit nur in Gottes Gegenwart.
Worum geht es denn in unserem Text? Jesus kommt an einem Zollhaus vorbei. Zöllner galten als Abschaum schlechthin. Wer einem Zöllner begegnete, der musste immer zahlen. Zahlen tut niemand gern, vor allem, wenn es um Erpressung geht.
Der Zöllner an dieser Station heisst Levi. Und das Verblüffende ist: Jesus sieht diesen Mann, sagt kurz «Folge mir nach!» – und Levi steht auf und folgt ihm. Ohne zu zögern, steigt der Mann aus seinem bisherigen Rahmen, seinem bisherigen «Lebensmuster» aus und folgt einem neuen Ziel.
Wenn es darum geht, wie man einengende Lebensmuster überwinden kann, dann hat das erst einmal damit zu tun, dass wir eine bessere Alternative brauchen. Und natürlich damit, dass wir überhaupt erkennen, welche Lebensmuster gesund und zukunftsträchtig sind und welche nicht.
Bei Levi passiert noch mehr: Er organisiert ein Fest. Ein Freudenfest. Die Jünger hat Levi auch gleich mit eingeladen. Und einige seiner Kollegen. So werden gesellschaftliche und religiöse Strukturen durchbrochen – und alles wegen Jesus, der ins Leben dieser Menschen gekommen ist.
Doch nun treten die Schriftgelehrten auf. Wütend. «Moment mal, wenn Jesus vom Himmel ist, dann darf er nicht zu den Zöllnern gehen.» Um an eine Aussage vorher anzuknüpfen: Das «Heilige» darf nicht mit dem «Unheiligen» zusammengehen.» Hier begegnet uns das sogenannt dualistische Denken, dem wir so oft auch verfallen: «Entweder – oder». Die «guten» Menschen gehören zu Gott. Die «schlechten» wie z.B. die Zöllner gehören nicht dazu.
Und wenn Jesus bei den vermeintlich «Schlechten» sitzt, dann kann er nicht gut sein. In diesem religiösen Denkmuster sind sie gefangen. Doch Jesus durchbricht ein fundamentales Prinzip des religiösen Denkens. Fast alle Religionen der Welt funktionieren nämlich nach dem Modell: «Gott ist gut – und wenn Du zu Gott kommen willst, dann musst Du auch gut sein. Das schaffst Du durch gute Taten oder dadurch, dass Du Dir bei Gott Wohlwollen erkaufst. Zum Beispiel durch gute Taten. Oder durch Opfer. Diese Opfer waschen Dich dann so rein, dass Du gut genug für Gott bist».
Und wenn ein Lehrer wie Jesus mit einem Zöllner feiert, dann wird dieses Grundprinzip gestört. D.h.: Hier treffen zwei Weltanschauungen aufeinander. Auf der einen Seite die Schriftgelehrten, die an ihrer Denkstruktur von «Gut» und «Böse» festhalten wollen – und auf der anderen Seite
Jesus, der vor Augen führt, dass Gott unsere irdischen Vorstellungen von «Falsch» und «Richtig» durchkreuzt.
Das Verhalten von Jesus gegenüber Levi und den weiteren Personen zeigt: Jesus passt sich nicht einfach gesellschaftlichen oder religiösen Rahmenbedingungen an. Für ihn sind das Markierungen, die übertreten werden dürfen, ja müssen, wenn sie dem grösseren Rahmen vom «Reich Gottes», vom «Willen des Vaters» dienen.
Deshalb geht der Gottessohn, der ohne Sünde ist, zu den Sündern. Anders gesagt: Das Heilige trifft auf das Unheilige – und macht es heilig. In unserem Text formuliert Jesus das so: »Die Gesunden brauchen keinen Arzt - wohl aber die Kranken. Ich bin gekommen, um Sünder zu rufen, nicht Menschen, die sich schon für gut genug halten.« Er nennt das Fehlverhalten, die Sünde, klar beim Namen. Aber er macht zugleich deutlich: «Dass ihr Schriftgelehrten euch für gesund haltet, ist euer eigentliches Problem. Nur werft bitte dem Arzt nicht vor, dass er Kranke besucht, die erkannt haben, dass sie gesund werden wollen.»
Das, was Levi hilft, seine einengenden Strukturen zu überwinden, ist Jesus selbst. Gott geht den ersten Schritt. Die kurze Begegnung mit dem Gottessohn wird für Levi zum Anstoss, seinen bisherigen Platz zu verlassen und sich einen ganz neuen zu suchen. Er wagt es, neue Wege zu gehen. Er gibt den einengenden, unheiligen Strukturen keine Macht mehr über sich, fragt nicht mehr nach seinem materiellen Gewinn, sondern wagt einen Neuanfang.
Und so schliesse ich mit ein paar Fragen und lade Sie ein, in den nächsten Minuten Folgendes zu bedenken:
➢ Wo trenne ich die Welt, Mitmenschen auf ungute Weise in «Gut» und «Böse»?
➢ Welche Strukturen / Lebensmuster engen mich ein?
➢ Wie kann ich mich aus einengenden Strukturen / Lebensmustern lösen?
➢ Welche Rolle spielt Jesus Christus dabei?
Ich will selber will achtsam bleiben bei Gedanken oder Aussagen wie: «So ist es immer gewesen». «Das ist bei uns halt Brauch». «Ich kenne nichts anderes und will auch nichts anderes» etc.
Ich will offen bleiben für neue Entdeckungen im Wort Gottes, für Menschen, die mir etwas sagen, was mir völlig quer scheint. Ich will offen bleiben für das Wirken des Heiligen Geistes, der jeden Rahmen sprengen kann mit der Absicht, mein persönliches Leben, mein geistliches Leben zu erweitern. Amen.